BIch muss sagen, ich finde ein paar interessante Thesen von Sifu KRK werden hier auf viel zu oberflächliche Weise betrachtet ( in inzwischenzeit immerhin 3 Threads). Damit wird eine sinnvolle (für alle Seiten) Diskussion von Anfang an verhindert. Das fängt schon beim Titel der Threads an und verschlimmert sich dann bei der Argumentation warum es sich um echte oder vermeintliche Irrtümer handelt. Wenn man einen Text Aussage kritisiert sollte man diesen erstmal gründlich analysieren (versuchen die Aussage und ihre Begründung zu verstehen) und seine Kritik dann sauber begründen. All dies fehlt hier leider in den Beiträgen des Threaderstellers (Nicht böse gemeint, ist aber leider wirklich so). Das erfordert natürlich auch viel Aufwand / Zeit (die ich nicht habe, sonst würde ich es vielleicht mal angehen) aber nur so könnte sich aus so einer Diskussion auch etwas sinnvolles entwickeln.
Hier mal ein (zu) kurzes Brainstorming zum Kern der Aussage (in Bezug auf Sparring)
Erstmal müsste man klären, was Sifu KRK unter "üblichem" Sparring versteht. Leider definiert er dies dort nicht näher (aber an andere Stelle), ich denke aber man kann hier schon verallgemeinert sagen, dass "übliches Sparring" eine Trainingsform für den "Duellkampf" ist. Unabhängig davon ob mit oder ohne Regeln, gibt es bei dieser Kampfform ein paar "typische" (0) Verhaltensweisen die sich tatsächlich von denen der "meisten" SV Situationen unterscheidet.Übliches Sparring, wo man einander abwechselnd angreift und abwehrt, ist als Vorbereitung für den konditionfordernden Sportkampf passend, aber überhaupt keine adäquate Trainingsmethode fürs WingTsun (WT).
a1) Die Sparringskämpfe beginnen fast immer mit einem gegenseitigen belauern/ abtasten und nicht mit einem sofortigen "alles oder nichts" Angriff (siehe 1.)
b1) Ein großer Teil der Sparringszeit (in schlagenden Systemen) wird mit Distanzüberbrücken / Distanzaufbauen verbracht (für Duell sinnvoll da Schlüssel zum Erfolg)
c1) Die Sparringspartner achten auf ihre Deckung, versuchen Gegentreffer zu vermeiden und führen dazu ihre Angriffe entschlossen aber kontrolliert aus (eher auf Schnelligkeit, den auf maximale Kraftentfaltung hin optimiert) (siehe 2.)
Ich beziehe mich aus Zeitgründen nur auf die Verhaltensweisen in 1 zu 1 Ausgangs! - situationen, weiter Szenarien und sonstige Randbedingungen (Gelände etc..) sind natürlich auch ein wichtiges Argument die neben normalen Sparring (wo man einige der taktischen Rahmenbedingungen, wie die Wahrscheinlichkeit das sich dritte einmischen, durchaus bereits berücksichtigen kann) noch spezielle Szenariosparrings sinnvoll machen.
Stellt man diesen (a1-c1) Verhaltensweisen den typischen Verhaltensweisen in einer realen SV Situation gegenüber (siehe 3.), fällt auf:
a2) Abtasten gibt es eher selten. Sobald der Entschluss zum Kämpfen gefallen ist (analog zum Startsignal im Sparring, meist einseitig), gibt es nur noch ein Vorwärts des Aggressors - es wird die unmittelbare Entscheidung gesucht (alles oder nichts)
b2) Es gibt eher selten ein taktisches Distanzspiel. Entweder einer stürmt vor und der andere weicht zurück, oder beide stürmen vor. (siehe 4.)
c2) Der Aggressor (können auch beide sein) greift emotional gesteuert an und hat nur hartes Treffen (kann auch Werfen sein) im Sinn (mit voller Entschlossenheit). Eigenes Risiko ist in diesem Moment ausgeblendet (Auswirkungen: Oft sehr ungedecktes angreifen, stürmischer Angriff - umrennen statt kontrollierte Distanzverkürzung, sehr harte "durchgezogene Angriffe")
Betrachtet man diese Unterschiede unvoreingenommen erkennt man, dass "normales" Sparring etwas anders simuliert als eine "typische" (siehe 0) SV Situation. Daraus ist zu schließen, dass eine Training das auf eine solche optimal vorbereiten soll eben (zusätzlich noch) andere Sparringsformen erforderlich macht. Der Unterschied liegt dabei an den Ausgangsbedingungen (wie wird die Auseinandersetzung gestartet, Stichworte: Rollenverteilung, Überraschung einbauen, Stress simulieren...). Soweit ist die These von Sifu KRK durchaus zutreffend.
Aber (Liste nicht vollständig):
- Auch eine SV Situation dauert oftmals länger an, dann verschwindet der Unterschied zwischen den Kampfformen zumindest im Nahkampf (direkter Schlagabtausch, Clinch, Boden) meist recht schnell (bestätigt auch Sifu KRK, ich glaube es war in "Vom Zweikampf" - Quelle kann ich raus suchen). Spätestens hier ergibt sich dann ein deutlicher Vorteil wenn man neben ungestümen Angreifern auch gelernt hat mit technische versierten Gegnern umzugehen... und das lernt man eben am Besten im Sparring .
- Wenn ich das "Fühlen" / Umgehen mit Kraft in einer Sparringssituation gegen einen Gegner der seine Kraft intelligent einsetzt hinbekomme, klappt es in einer SV Situation gegen jemand mit sehr groben, überzogenen Krafteinsatz erst recht (da hier mit mehr Kraft / Druck gearbeitet wird) - Einschränkung: Vorausgesetzt man kann diesen hohen Druck auch verarbeiten, dass lernt man wieder eher in SV Simulation gegen genau solche Angriffsarten.
- Normales Sparring schult einige der Attribute die auch in der SV (am Anfang einer Auseinandersetzung) wichtig sind am Besten (z.B. Distanzgefühl - wann kann ich getroffen werden, wann selbst treffen, Reaktion - zum überstehen von Überraschungsangriffen absolut erforderlich, Meidbewegungen, Distanzschließen falls doch benötigt...)
- Auch eine SV Situation kann sich zu einem Duellkampf (taktieren, Distanzspiel) entwickeln (wenn es keine schnelle Entscheidung gibt) bzw. beginnt manchmal als solche
- WT ist ursprünglich eine KK und sollte daher auch (eher sogar vorwiegend) auf Duellsituationen vorbereiten. So wurde es früher auch noch vermittelt und argumentiert (siehe auch "Vom Zweikampf". Um diesen Anspruch gerecht zu werden ist auch die Simulation eines Duellkampfs (= Sparring) erforderlich. Das geht nebenbei auch mit vielen der sonst verbotenen Techniken (Unterleibstritte waren z.B. bei uns im WT Sparring immer erlaubt und wurden auch eifrig genutzt).
Ich glaube hier liegt aber das Hauptproblem. Die noch in von Zweikampf als alleinige glücklich machende eingleisige WT Schrittarbeit hat sich sich langfristig im Sparring nicht bewährt. Statt nun zuzugeben, dass diese doch suboptimal ist (wird ja heute auch oft schon anders trainiert), definiert man WT um in ein reines SV System.
Anmerkung:
Das ganze erhebt natürlich keinen Anspruch eine vollwertige Analyse und Argumentation darzustellen (ist in 45min Mittagspause schnell herunter geschrieben). Daher bitte nur als Anregung verstehen, den Kern der Thesen von Sifu KRK mal wirklich zu hinterfragen und ggf. auch positiv davon zu profitieren. Für mich enthalten die Thesen viele Wahrheiten, tiefergehende Erkenntnisse, die aber leider "nur" verwendet werden um die scheinbare Überlegenheit des WT zu begründen und eventuelle Defizite (hier z.B. das bisher kein zentrales Konzept wie Sparring für WT sinnvoll durchgeführt werden kann definiert wurde) zu relativieren.
Appendix
0. "typische" wird hier im Sinne von "am häufigsten" verwendet, dass schließt im konkreten Fall explizit nicht aus, das es auch anderes Verhalten gibt
1. Ich habe bisher nur wenige KK / KSler getroffen, die im Sparring sofort voll loslegen, d.h. direkt vorstürmen und die "Entscheidung" suchen (im Wettkampf schon öfter). Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen, aber diese sind doch eher selten (es gibt natürlich auch Clubs in denen das gehäuft anzutreffen ist, wie in meinem alten Boxclub, diese sind aber eben eher selten)
2. Dieser Punkt unterliegt Einschränkungen den Anfänger agieren hier anders und auch bei Erschöpfung / Unterlegenheit eines Kämpfers sowie nach schmerzhaften (körperlich, seelisch) Treffern ist oft das gleiche Verhalten wie unter c2 beschrieben zu beobachten. Auch dies ist ein guter Grund auch normales Sparring zu machen.
3. Unter einer realen SV Situation verstehe ich einen Gegner der einen "vernichten" will ("Straße", "Schlachtfeld", teils auch im Wettkampf, eher selten im Sparring) und der daher viel emotionaler angreift als der taktische, rationale Angreifer in einem "typischen" Duell.
4. Was zum Teil zu beobachten ist, ist das Angriffe vom Aggressor unterbrochen und dann wieder fortgesetzt werden. Dies ist aber etwas anderes als ein taktisches "Distanzspiel".





