Keith Kernspecht schreibt im "Von Zweikampf" von den 5-Phasen des Kampfes - aber das ist eine Anleihe von woanders.
Im Wing Chun spricht man nicht von einer solchen Einteilung, sondern lediglich von "Lei Kiu" - "no bridge" oder "Chi Kiu" - "klebende Brücke".
Ein typischer Lei Kiu Stil ist westliches Boxen oder Savate, wo man ausschliesslich mit Faustschlägen und Kicks arbeitet.
"Chi Kiu" ist eine Bezeichnung für eine Kampmodus, wo die Arme der Kontrahenten sich berühren. Typische Stile wo man diese Art des Kämpfens findet sind Sat Gow, Judo und Ringen.
Muay Thai ist beides, Kicks, Faust- und Ellbogentechniken sind "Lei Kiu", während der Clinch "Chi Kiu ist"
Dazu muss man noch wissen, dass man von "Lei Kiu" im Sinne von "freiem" (das englische Wort "non-attached" ist besser) Schlagen, und "Chi Kiu (Chi da)" von "attached" striking.
Ersteres bedarf wohl keiner besonderen Erklärung, aber "Chi Da" bedeutet, dass man den Gegner schlägt und Gleichzeitig dessen Brücken (Arme) mit dem Angriff - oder eben durch "Zwei versiegeln Einen" - kontrolliert.
Lei Kiu ist viel einfacher auszuführen als Chi Kiu und wird deshalb als erstes unterrichtet - eben die Kettenfauststösse, und das Bedrängen des Angreifers durch "Bik" ("Drücken", auf physischer und mentaler Ebene). Das ist eine sehr gute basale Strategie, mit der man viel erreichen kann, wenn man sie mit Schlagkraft und Schnelligkeit kombiniert.
Chi Kiu wird als ein "höheres Skill-set" angesehen, wird aber als souverän angesehen, weil der Gegner beim freien Schlagen auch die Möglichkeit hat zu schlagen, so das ein Schlagaustausch entsteht - dies sieht man typisch beim Wing Chun Sparring. Zwei Kontrahenten, die wie die Wilden aufeinander eindreschen letzten Endes aber nichts erreichen - was nicht erwünscht ist, besonders in Fällen, wo der Gegner über überlegene Schlagkraft verfügt.
Beim Chi Kiu ist das Ziel den Gegner so zu kontrollieren, dass es ihm nicht möglich ist, frei zu schlagen. Ob dies nun durch verriegeln der Arme passiert, durchs Ziehen/Drücken/Verdrehen/Werfen... viele Möglichkeiten gibt es.
Wing Chun und viele andere südchinesische Stile vereinen beide Methoden in ihrem System, sind sie aber doch hauptsächlich auf chi kiu chi da ausgerichtet.
Deswegen ist es ursprünglich auch ein Tek (Treten) Da (Schlagen) Sat (Werfen) La (Greifen) System gewesen.
Jede Generation von Lehrern setzen ihren eigenen Schwerpunkte, was man in HK sehr deutlich beobachten kann. Verschiedene Schüler Yip Mans legen Wert auf verschiedene Dinge, einige haben einen grösseren Fokus auf Lei Kiu, andere auf Chi Kiu.
Kennt man aber nur Lei Kiu ergeben viele Dinge im System keinen Sinn, weil sie für Chi Kiu gedacht sind. Wie ich schon schrieb, wurde ein Chi Kiu-Konzept (bleiben, folgen, nach vorne gehen, wenn die Hand frei ist) auf einmal zu einem Lei Kiu Konzept und mutierte zu den "kernspechtschen" 4 Kampfprinzipien. Könnte man so interpretieren, ist aber nicht der eigentliche Sinn.
Machen die Begriffe jetzt mehr Sinn für Dich?
Um das Thema mal abzurunden, ist zu bedenken, dass Chi Kiu und Lei Kiu nie ausschlieslich anzuwenden sind - wenn z.B. der Gegner sich nicht verteidigen kann, oder keine Brücken darbietet, dann Lei Kiu, kann er sich verteidigen oder sind seine Brücken im Weg? Chi Kiu.
Alles im schnellen dynamischen Wechsel - das Ziel ist es, den Gegner so schnell wie möglich wie möglich zu neutralisieren.
Sam Nang sagte dazu: "Yat Dim Choi!" was dem japanischen "Ikken Hisatsu" (BUJUN
), also dem "Töten" in einem Schlag, wenn es geht.