Das ist ein Mißverständnis: Ich versuche nicht verschiedene Formen verschiedener Lehrer oder Linien theoretisch argumentativ zu diskutieren. Sondern ich habe lediglich versucht, die Form zu verdeutlichen, die ich von meinen Lehrern lerne und übe.
Ich spreche über meine Erfahrungen.
Das war einer der Gründe, warum ich oben gefragt habe, in welcher Linie du übst. Denn es geht darum, die Formen im Kontext der eigenen Traditionslinie zu verstehen. Erst dann, wenn man sich der eigenen Form einigermaßen sicher ist, kann man versuchen, das Wesen dieser Form auch in anderen Linien wiederzuerkennen.
Ich bin z.B. der Meinung, daß sich das ikkyo von Saito sensei und das ikkyo von Endô sensei zwar in Details unterscheiden. Im Wesentlichen aber gleich sind.
M.E. ist die Situation zwischen den Partnern niemals symmetrisch. Ob über die äußeren Parameter, wie Distanzen, Winkel, Haltung der Arme ... oder über die innere Arbeit - jede Form ist darauf bedacht, die Symmetrie zugunsten tori zu verschieben.Wenn es tori hilft, zwei Kontakte geschenkt zu bekommen, warum hilft es dann nicht uke, wenn tori beim Eingang von Ikkyo die Initiative ergreift, wie es in den Videos von Ueshiba und Saito zu sehen ist?
Ich habe zu Beginn gelernt, daß es wichtig sei, daß toris Ellenbogen unten ist, während der Ellenbogen von uke nach oben gebracht wird. Bei Saito sensei ist das ein Effekt des initiativen Schlages von tori. Bei anderen Lehrern wird das über eine Veränderung des Winkels hergestellt. Oder durch eine bestimmte Form der Aufnahme. Oder ...
In keinem Fall ist die Situation aber einfach symmetrisch.
Einer meiner Lehrer sagt: Es "gewinnt" derjenige, der mehr aiki hat.Siegt dann derjenige mit mehr "aiki" oder dem besseren Timing?
Es gibt jedenfalls einen, der stehen bleibt und einen der am Boden liegt ...Aber im Aikido darf es ja keine Sieger geben.
Im Training ist das für beide befriedigend, beglückend, berreichernd, gut, angenehm ... darum macht es keinen Sinn, einen der Beiden "Sieger" zu nennen.
Nichtsdestotrotz: Beide möchten stehen bleiben. Einem gelingt das. Einem gelingt das nicht.
Dann gibt es vor allem überhaupt gar kein Üben ...Oder beide Partner fügen sich in die vom Sensei vorgegebene Kata. Aber dann gibt es keinen Konflikt zum Auflösen.
Für mich ist es sehr viel banaler:Das ist ja fast schon ein Koan: ich übe nicht Kämpfen, aber auch nicht Nicht-Kämpfen; eine Kunst ist das, was ich übe dann auch nicht zu nennen, wenn ich weder kämpfen noch nicht-kämpfen können werde.
Wenn man nicht übt, mit einem Konflikt umzugehen, kann man nicht lernen, mit einem Konflikt umzugehen.
Wenn ich Gewaltfreie Kommunikation lernen und üben möchte, funktioniert das nicht wenn ich sage: "Die Erde ist eine Scheibe" und mein Gesprächspartner antwortet: "Genau! Du hast recht! Ich habe dich lieb! Kuscheln!"
Deswegen müssen Menschen, die sich gut leiden können, Konflikte "spielen". Sonst könnten wir uns nicht üben in dieser Methode.
Wenn ich die Kunst lernen möchte, nicht zu kämpfen, dann geht das - meiner Meinung nach - nur in Übungsfeldern, in denen kämpfen als eine adäquate Antwort auf die Situation erscheint.
Und darüber hinaus halte ich es für die höchste Kunst, die Fähigkeit zu haben, diese Situation tatsächlich auch durch Kampf lösen zu können, aber sie dennoch durch nicht kämpfen zu lösen.
Oder noch mal anders:Das ist ja fast schon ein Koan: ich übe nicht Kämpfen, aber auch nicht Nicht-Kämpfen.
Du schreibst ja selber, daß du die Dialektik, von der ich immer wieder spreche, für dein Üben nicht hast und auch nicht möchtest. Das genau drückt m.E. auch deine Rückfrage aus. Es ist eben gerade kein koan mehr, da die Widersprüchlichkeit, das paradoxe Element, das viele koan auszeichnet, eben gerade fehlt.
(Ich kenne es übrigens auch aus dem Buddhismus so, daß man Gleichmut und Gewaltfreiheit gerade in Konfliktsituationen übt.)
Du übst, dich zu bewegen. Ohne jedes Element eines Konfliktes, sei es auf körperlicher oder geistiger Ebene. Nach meiner Erfahrung ist das genau das, was man Ki no michi findet. Oder z.B. auch in der Kontaktimprovisation. In beidem kann die Beziehung der Partner körperlich sehr stark, sehr intensiv sein. Es kann ein hohes maß an "Energie", "Richtung", "Wille", "Bewegung" angeboten werden, mit dem dann der Partner umgehen darf. Das alles aber, ohne an einem Konflikt zu arbeiten. Beides ist sehr intensives Arbeiten!
Aber dir ist es ja wichtig, aikidô zu üben. So, wie es in eurem dôjô geübt wird. Du scheinst dort mit deiner Art zu üben ja gut aufgehoben zu sein. Und ich glaube, das ist erstmal das Wichtigste: Hauptsache, für dich ist es richtig!
Es wird bestimmt spannend sein, diese Gedanken in zwanzig Jahren wieder zu lesen aus der Sicht, die man dann entwickelt haben wird ...





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