Stimme der Armen
Paritätischer Wohlfahrtsverband organisiert Aktionskongress gegen soziale Verelendung
m Freitag erklärte Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen, weshalb der Verband keinen Armuts-, sondern einen »Aktionskongress gegen Armut« durchführt. »Wir wissen langsam genug über Armut«, sagte er, »wir wissen genug, um Armut in unserer Gesellschaft abschaffen zu können.« Während die Armutsberichte der Bundesregierung mit den Jahren immer dicker wurden, gelten hierzulande 16 Prozent als arm, anders ausgedrückt: 13 Millionen Menschen.
»Wenn man es schonungslos auf den Punkt bringen will: Diese Berichte waren wirkungslos«, so Schneider. Deshalb müsse man über Aktionen sprechen, darüber, wie man Armut in Deutschland abschaffen kann. Man müsse sich bewusst machen: »Alle sozialen Errungenschaften in dieser Republik mussten in der Vergangenheit erkämpft werden.« Es sei nicht so gewesen, dass man früher die Reichen davon überzeugt hätte, es wäre gut, eine Arbeitslosen- oder eine Pflegeversicherung zu haben oder Geld für arme Menschen auszugeben. Nun stünde die Gesellschaft wieder vor Herausforderungen: Allein die Kosten, den Hartz-IV-Regelsatz auf ein annehmbares Niveau zu heben, beliefen sich auf 25 Milliarden Euro, sagte Schneider.
Einen Tag zuvor, am Donnerstag, hatte Rolf Rosenbrock, Gesundheitswissenschaftler und Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, auf verschiedene Argumentationen verwiesen, mit denen die Überwindung von Ungleichheiten gerne ausgeblendet wird. Dabei werde oft behauptet, in anderen Ländern dieser Welt sei die soziale Ungleichheit deutlich größer. Das stimme zwar, so Rosenbrock, sei aber kein Grund, es hinnehmen zu sollen,
dass arme Menschen selbst in Deutschland im statistischen Schnitt zehn Jahre früher sterben.
Es werde auch immer wieder darauf verwiesen, die medizinischen Fortschritte würden die Lebenserwartung weiter steigen lassen. Das sei aber eine trügerische Hoffnung, so Rosenbrock. Denn zwei Drittel der in den letzten 60 Jahren erheblich höheren Lebenserwartung verdanke man nicht der Medizin und Krankenversorgung, sondern besseren Lebensverhältnissen, der Bildung und dadurch auch einem veränderten Verhalten.
Zweiklassenmedizin und Ungleichheit für Patienten im Gesundheitssystem hingegen blieben.
Die Coronakrise habe einmal mehr belegt, dass Gesundheit und Wohlstand eng miteinander verknüpft seien. Je niedriger die gesellschaftliche Stufenleiter, auf der man stehe, desto höher sei das Infektionsrisiko. Je ärmer, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs. Arme Menschen leiden mehr unter den Bedingungen des »Lockdowns« als Wohlhabende, und sie könnten ihren wirtschaftlichen Schaden weniger gut kompensieren.