
Zitat von
ThomasL
Würde mich interessieren. Eigennutz ist letztlich wirklich ein komplexes Thema. Gerade auch beim Thema "impfen".
Grundsätzlich operieren ökonomische Modelle oftmals mit Nutzenfunktionen. Gegenüber dem klassischen Homo Oeconomicus hat zuletzt in der Ökonomie immer mehr das Konzept der Bounded Rationality breit gemacht. Ich verfolge das aber nicht mehr sonderlich. Soweit ich mich noch an die ersten Seminare dazu erinnern kann, war der Grundtenor, dass man versucht, zu modellieren, dass Menschen auch teilweise irrational agieren können, dies aber eben nicht überwiegend oder gar komplett tun, sondern quasi nur begrenzt. Daher "bounded rational" sind. (Zitat Selten seinerzeit: "You know, oin some sense, we ae all bounded rational."
) das dient aber vor allem dazu, psychologische Motive wie Angst, Freude, etc., bzw. ordinalskalierte Variablen vernünftig modellieren zu können. Mehr dazu hier:
Bounded Rationality
Die Argumentation von Prof. Falk scheint mir jedoch hier mehr spieltheoretisch motiviert zu sein (er benutzt ja mehrfach die Begriffe "kooperativ" vs. "nicht-kooperativ", was das Verhalten der Menschen betrifft).
Wir kennen ja fast alle das Gefangenendilemma, wo die individuelle Nutzenmaximierung zu einem gesellschaftlichen (Gesellschaft sind hier die 2 Spieler) Gleichgewicht führt, welches als suboptimal zu werten wäre. Heißt wohl übertragen auf den vorliegenden Fall, dass wenn sich nur die impfen ließen, für die es einen klaren Vorteil hat, wir keine Herdenimmunität bekämen und die obigen Folgen einträfen:
Todesfälle, Lockdowns, Schulschließungen, psychische Schäden, Insolvenzen, milliardenschwere Rettungen durch den Staat.
Er unterteilt nun (s. Gefangenendilemma) das Verhalten in "kooperativ" (impfen) und "nicht-kooperativ" und stellt das gleich mit "gut" und "böse". Hier wäre für mich der erste Kritikpunkt, denn ist ja gar nicht klar, wie viele Menschen sich derzeit ausschließlich zum Wohle der Gesellschaft haben impfen lassen. D.h. nicht alle Geimpften sind "gut", nur weil sie sich kooperativ verhalten. Außerdem haben wir bereits eine faktischen Impfzwang und sei es nur, dass man sich als Ungeimpfter irgendwo testen lassen muss. Der Nutzen aus einer Impfung ist somit für einen der bspw. gerne reist oder essen geht, höher als für den Stubenhocker.
Dann ist letzten Endes aber die Frage, was (Eigen-)Nutzen ist. Es lassen sich ja bspw. Leute impfen, um ihre kranke Mutter vor ein Ansteckung zu schützen. Sie entscheiden zwar nicht komplett egoistisch auf der Basis von persönlichem Risiko, allerdings kann ihre "Nutzenfunktion" ja so ausgestaltet sein, dass sie mehr Nutzen daraus ziehen, wenn ihre Mutter nicht schwer erkrankt. Und zwar nicht nur materiell. Hier kommt eben die Bounded Rationality ins Spiel. Insofern würde sich bereits aus egoistischen Motiven heraus mehr Menschen impfen lassen als nur Alte und Risikopatienten.
Jetzt kommen wir zum Eigennutz des Ungeimpften: dazu würde es imho ausreichen, wenn mich eine irrationale Angst vor der Impfung triebe, denn dann ist mein erwarteter (!) Nutzen aus einer Vermeidung der Impfung größer als der einer Impfung.
Letzlich steht und fällt seine Argumentation aber mit der Einschätzung der Folgen der Pandemie und mit der Prognose, was uns angesichts der derzeitigen Impfquote noch an Ungemach droht:
Wenn ich mich impfen lasse, verhalte ich mich kooperativ. Das liegt daran, dass ich dann nicht nur mich schütze, sondern auch andere, zum Beispiel Kinder und Schwangere, die sich nicht impfen lassen können.
Ich glaube, irgendwer hier hatte es schon erklärt: Das Risiko, so jemanden anzustecken mit entprechend dramatischen Folgen, bzw. der zu erwartende Schaden, muss ja den erwarteteten (Netto-)Schaden des Einzelnen (erwarteter Schaden einer Impfung minus erwarteter Schaden durch Covid) übertreffen. Wie sind denn da so die Wahrscheinlichkeiten? Ich sehe nicht, dass das irgendwie so glasklar wäre, wie von ihm unterstellt.
Des weiteren unterstellt er, dass wir eine Impfquote benötigen, wie vom RKI postuliert (also die 85% der Bevölkerung), denn sonst wäre es ja egal, ob sich jemand kooperativ oder nicht-kooperativ verhielte bzw. es gäbe diese Kategorien gar nicht, weil bereits die individuelle Nutzenmaximierung zu so viel Immunität führte, dass die von ihm postulierten "verheerenden Folgen" gar nicht mehr einträfen. Ein Blilck nach England oder Israel lässt dies allerdings fragwürdig erscheinen.
Und man muss natürlich auch noch überlegen, was den Ökonomen zu dieser Einschatzung befähigt, auf der seine Argumentation ja maßgeblich fußt:
Ich halte das Impfen für so eine geringfügige Einschränkung, dass es für mich schlicht skandalös ist, dass nicht alle das tun.
Nach dem was ich so gelesen habe, ist es jetzt nicht die allerunkomplizierteste Impfung von allen. Siehe auch Stiko-Nicht-Empfehlung für Jugendliche. Die halte ich da für kompetenter.
So, das war jetzt ziemlich wirr, glaube ich, aber dann ahben wir ja was zzum Diskutieren
Geändert von Katamaus (30-07-2021 um 11:51 Uhr)
„Grau teurer Freund, ist alle Theorie. Und grün des Lebens goldner Baum.“