Zitat von
period
Ich würde sagen, es kommt sehr darauf an… zum Beispiel darauf, wie man «Kämpfen» oder «Philosophie» definiert. Ich würde sagen, ein essenzieller Teil beim Bewältigen von etwaigen kämpferischen Krisen – seien es nun Plateaus in der Entwicklung, Misserfolge, Gewissensfragen oder -krisen, posttraumatische Belastungsstörungen oder schlicht die Frage, ob der Sch*** das wert ist – ist ein gefestigtes Weltbild, das die eigenen diesbezüglichen Tätigkeiten und Verhaltensweisen rechtfertigt. Ich sage bewusst «Weltbild» und nicht beispielsweise «Philosophie» oder «Religion», auch wenn beide Begriffe über weite Strecken als Synonyme tauglich wären: zum einen kann es sein, dass jemand a priori nicht an der Richtigkeit des eigenen Tuns (inklusive der Folgen von Gewaltausübung im weitesten Sinne, die früher oder später in der einen oder anderen Form fast immer beide Parteien treffen) zweifelt. «Religion» oder andere Leitbilder (ob nun leibliche Familie, Wahlfamilie, Nation oder was auch immer mit den jeweils verknüpften Leitbildern) können in vielen Fällen eine ähnliche Leitfunktion übernehmen, und ich würde argumentieren, dass die in den allermeisten Fällen in irgendeiner Form gegeben ist – (fast) jede*r glaubt an irgendwas, auch wenn Glaube und Überzeugungen sich bei Druck ändern, verloren gehen oder ins Gegenteil umschlagen können.
Wenn ich die Sache erfahrungsgemäss bewerten müsste, dann würde ich bei den wenigsten Leuten in meinem direkten und erweiterten Umfeld im Leistungssport von «Philosophie» im Sinne von Hinterfragen und Streben nach Erkenntnis sprechen. Vielmehr ist mir bei praktisch allen Spitzenleuten aufgefallen, dass die meist ziemlich felsenfeste Weltbilder haben und nicht an einer aktiven Änderung derselben interessiert sind (was dem Philosophiebegriff m.E. intrinsisch widerspricht). «Denken» wird meistens im Kontext von «Denken müssen» wahrgenommen, und es ist mehrheitlich negativ konnotiert – sowohl «denken müssen» bei kämpferischen Handlungen als auch «denken müssen» im Vorfeld oder bei der nachträglichen Bewältigung. Wenn jemand plötzlich «denken muss», dann ist das meistens im Zuge eines Karrieretiefs oder Karriereendes.
Stark ausgeprägte Religiosität ist aus meiner Sicht überraschend häufig und aus meiner Sicht bis zu einem gewissen Punkt auch logisch, weil Religion nun mal einen bestimmten Halt bieten kann, sowohl persönlich als auch gesellschaftlich. Wie heisst es so schön, im Schützengraben gibt es keine Atheisten. Im europäischen Mittelalter lässt sich eine sehr klare Verbindung von Religion und Kampf festmachen, sowohl im Grossen («Kampf für den Glauben» in allen Spielformen, die weltliche Herrschaft als gottgegeben und von Gott beauftragt) als auch im Kleinen (Bezug von Fechtschulen auf bestimmte Heilige, Empfehlung des täglichen Besuchs der Messe in der Vorbereitung auf ein gerichtliches Duell, diverse quasimagische Praktiken mit religiösem Hintergrund im Vorfeld des Kampfes usw.).
Wenn keine ausgeprägte Religiosität vorhanden ist, dann gibt es meiner Erfahrung nach meistens sehr klare Vorstellungen von «richtig» (ebenso klare Vorstellungen von «falsch» sind verhältnismässig optional), die eine klare Leitlinie vorgeben, meistens verbunden mit einer sehr ausgeprägten Zugehörigkeit zu irgendeiner mehr oder weniger selbst definierten Gruppe.
Beste Grüsse
Period.