Ein Messerverbot ist wie Ibuprofen
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Über das Verbot weiterer Messer wurde in den vergangenen Wochen viel debattiert, doch dabei war auffällig, dass die Diskussionen vor allem um Tatwaffen, weniger um die Tatmotivation kreisten. Dieser Fokus erschwert es, zwischen den verschiedenen Szenarien zu differenzieren, die unter dem Schlagwort der Messerkriminalität diskutiert werden. Etwa die Hälfte aller Delikte, schätzt der Kriminologe Dirk Baier, passiert dort, wo sich Messer schwer verbieten lassen: nämlich im eigenen Zuhause. Die andere Hälfte ereignet sich im öffentlichen Raum. Dort kommen Messer als Drohmittel bei Raubüberfällen zum Einsatz, Jugendliche führen sie zur vermeintlichen Selbstverteidigung bei sich. Und auch islamistische Terroristen greifen in Zeiten von Sicherheitskontrollen und Anti-Terror-Pollern nicht länger zum Sprengstoff oder Pkw, sondern zum Messer.
Doch ergibt es Sinn, all diese verschiedenen Delikte unter einem Schlagwort zu diskutieren, nur weil sie die gleiche Tatwaffe teilen? Lässt sich häuslicher Gewalt, Jugendkriminalität, dem Messereinsatz bei Raubüberfällen und islamistischem Terror mit ein und derselben Maßnahme begegnen – einem Verbot?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich vergegenwärtigen, was man denn eigentlich verbieten will: den jeweiligen Gewaltakt. Nicht das Messer. Und wer Gewalt verbieten möchte, muss bei ihren Ursachen ansetzen. Man muss keine Kriminologin sein, um zu verstehen, dass ein Terrorist, der dem Islamischen Staat dienlich sein möchte, andere Absichten hegt als ein Zehntklässler, der glaubt, zur Selbstverteidigung ein Messer bei sich führen zu müssen. Und dass ein Verbot im öffentlichen Raum einer Frau, die von ihrem Partner in der gemeinsamen Küche mit dem Brotmesser attackiert wird, herzlich wenig hilft.
Das Messer zu verbieten, anstatt die Ursachen seines Missbrauchs als Waffe zu bekämpfen, ist in etwa so, als versuchte man, chronischen Schmerz mit Ibuprofen zu lösen: Verbot wie Tablette verbleiben auf der Ebene der Symptombekämpfung, was, zugegebenermaßen, für unsere Gegenwart recht typisch ist. Wer eine Ibuprofen eingeworfen hat, kann sich kurz zurücklehnen – ähnlich verhält es sich mit dem Messerverbot.
Doch das Verbot eines Gegenstands ändert noch nichts an den sozialen Realitäten, die seinen Missbrauch als Tatwaffe hervorbringen. Wer Terror bekämpfen will, muss Radikalisierung verhindern. Wer häusliche Gewalt eindämmen möchte, muss Aufklärungsarbeit und Anlaufstellen ausbauen. Wer junge Männer davon abbringen will, ein Messer bei sich zu tragen, muss sie frühzeitig darüber informieren, wie schnell aus einer Droh- eine Mordwaffe werden kann.
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