Ich hätte gerne mal andere Perspektiven auf die Situation meines Sohnes und von mir. Vielleicht habe ich ja einen Blinden Fleck oder etwas übersehen. Ich bin übrigens der Vater.
Die Situation ist die, mein Sohn ist siebeneinhalb Jahre alt und geht seit einem guten Jahr zum Judo. Als wir damals anfangen wollten, wurde mir von anderen Müttern vorher berichtet, dass diese ihre Kinder teilweise aus dem Training wieder rausgenommen hatten, weil er so streng war und die Kinder damit nicht klargekommen sind. Da das Training aber relativ voll ist und auch viele Freunde von meinem Sohn mitmachen, dachte ich, das es ja vom einzelnen Kind abhängt, wie es mit dem Trainer klarkommt. Deshalb haben wir es ausprobiert. Und ich musste feststellen, der Trainer ist tatsächlich eher von der rustikalen Sorte, ich schätze ihn auf Ende 40, ein ziemlicher Schrank und ein sehr lautes Organ. Ist ja an sich nichts schlechtes, er kann sich bei den Kindern z.B. gut durchsetzen, und ich finde sein Training eigentlich auch ganz gut, anspruchsvoll anstrengend, aber gut. Mein Sohn, der eigentlich sehr sensibel ist, kam aber überraschender Weise mit ihm bis jetzt immer ganz gut klar. Er spricht zwar nicht in hohen Tönen von ihm, wie von seinem alten Karatelehrer, aber er geht immer wieder hin und scheint das Training auch zu genießen. Vielleicht auch, weil so viele Freunde da sind.
Zu mir: Ich selber betreibe seit 35 Jahren traditionell chinesische Kampfkunst und habe in meiner Zeit auch einige sehr strenge Lehrer kennen gelernt und wusste das auch zu schätzen. Ich hatte immer den Eindruck, dass bei aller Strenge diese Trainer mich auch trotzdem sehen und fördern wollen. Und ich finde auch, dass man Vertrauen haben sollte und sich aus dem Training eigentlich heraus halten sollte als Eltern. Solange es dem Kind gut geht, darf der Trainer eigentlich machen, was er will. Immerhin ist es ja auch eine Kampfkunst und keine Waldorf-Eurythmie.
Es gibt aber eine feine Linie zwischen einerseits streng, hart, fordernd, drillend usw. und auf der anderen Seite brutal, sadistisch, mobbend, abwertend, unempathisch und misshandelnd. Und ich versuche gerade nachzuspüren, wo die liegen könnte.
Was bis jetzt passiert ist:
- Sein erstes Judoturnier - eigentlich 3 Kämpfe vorgesehen - war emotional sehr krass für ihn. Er hat einen Kampf gemacht, hat sogar gewonnen, war aber danach dermaßen durch und hat viel geweint, so dass er nicht weitermachen konnte. Der Trainer rollte nur mit den Augen, wandte sich von ihm ab und meldete ihn vom Turnier ab. Keine Ansprache, keine Motivation, kein Verständnis. Zum Glück konnte ich ihn dann zum zweiten Turnier so weit auffangen und motivieren, dass er seine Angst überwand und tatsächlich dort dann alle drei Kämpfe absolvierte (stolz wie Oskar natürlich).
- Als mein Sohn einen Fahrradhelm in der Umkleide liegen ließ, bat ich den Trainer, eine Mail an die Eltern zu schreiben, ob ein Kind ihn gefunden und aus Versehen mitgenommen hat. Keine Antwort. Als ich ihn dann in der Halle drauf ansprach, brüllte (oder sprach er nur normal?) er mich voll genervt an, ich könne doch jetzt hier alle fragen. Es waren aber nur ein Teil der Kinder da, kaum Eltern, und die Kinder waren mit Mattenaufbau beschäftigt. Als ich nochmal fragte, sagte er mir, er wolle mir die Emailliste schicken, ich solle das selber machen. Ich stimmte zu, aber die Liste kam nie. Es ist eigenentlich egal, worauf ich ihn anspreche, er ist immer total genervt und blökt direkt rum, auch bei Kleinigkeiten, etwa wenn ich ihn frage, wann wir beim Turnier sein sollen oder wie lange das voraussichtlich geht. Ich hab schon gar keine Lust mehr, ihn irgendetwas zu fragen.
- Ein Kind hat beim Üben einen Wutanfall bekommen und meinem Sohn eine blutige Nase gehauen, der ganze Anzug war rot. Ich kam ein paar Minuten später dazu und sah erschrocken die blutige Situation. Auch hier gab es scheinbar kaum Ansprache, er saß allein auf der Bank mit einem Taschentuch. Das Kind durfte auch weiter trainieren. Es gab zu dem Vorfall soweit ich das mitbekommen habe keine weitere Reaktion. Keine Rede am Ende, keine Konsequenzen. Der andere Junge ist dann aber trotzdem nicht mehr erschienen, ich hab den Vater kurz gesprochen, der war selbst ziemlich schockiert und ich denke er hat ihn selber rausgenommen, weiß es aber nicht genau.
- Gestern hat sich mein Sohn beim Bodenkampf die Schulter verdreht. Diesmal war ich zufällig dabei, normalerweise gebe ich ihn nur ab und hole ihn hinterher wieder ab, aber gestern habe ich die klimatisierte Halle genossen bei der Hitze. Ich ziehe mich dann aber stets zurück auf die Empore, um nicht zu stören, und schaue auch nur ab und zu mal hin, gestern habe ich die Situation aber ziemlich live mitbekommen. Die Situation war ein blöder Unfall, nix Schlimmes, der andere Junge konnte nichts dafür. Mein Sohn schrie aber auf und hielt sich danach den Arm fest und wimmerte. Der Trainer fluchte etwas vor sich hin (mein Sohn meinte hinterher irritiert er hätte "verdammte Scheiße" gesagt, aber das habe ich nicht gehört). Dann nahm er meinen sitzenden Sohn sehr unsanft unter den Achseln, stellte ihn auf die Füße und schob ihn von der Matte auf die Bank, wendete sich ab und ging ohne ein weiteres Wort wieder zurück zu den anderen Kindern. Man muss dazu sagen, dass es ca. 30 Kinder sind, allerdings sind auch immer Assistenztrainer da, gestern waren es mindestens drei weitere Trainer.
Ich war total geschockt. Erstens von der Art wie er ihn hochgehoben hat, es hätte ja auch was ausgekugelt oder gebrochen sein können, so wie mein Sohn sich den Arm hielt. Und dann von diesem erneuten Abwenden und allein lassen.
Ich bin dann natürlich gleich die Treppe runter und hab mich gekümmert. Ihn vorsichtig ausgezogen (dabei hatte er Schmerzen), abgetastet, bewegt. Die Mama nebenan war auch total geschockt von der Situation. Und was macht der Trainer? Er blafft in meine Richtung: "Anziehen und nach Hause gehen!" Unfassbar. Ich kenne ja meinen sensiblen Sohn und weiß, dass sich manchmal Schmerzen recht schnell wieder geben, wenn man ihm etwas Zeit lässt. Und so war es auch. Nach 10 Minuten war er wieder wie neu. Ich dachte, er könne sogar nochmal mitmachen die letzten 20 Minuten oder wenigstens mit abgrüßen, aber so wurden wir sehr unempathisch rausbefördert. Also sind wir nach Hause. Noch in der Umkleide meinte mein Sohn, dass sich die Schulter verdreht angefühlt hätte und dass beim Aufgehobenwerden vom Trainer sich das angefühlt hätte, als komme die Schulter fast raus. Das sei richtig eklig gewesen. Und er meinte, ob ich es dem Trainer nicht vielleicht sagen könne. Ich glaube er hat sich da Unterstützung gewünscht. Er hatte mir auch schon mal gesagt, dass er generell lieber zu den Assistenztrainerinnen geht, weil der Trainer sich sowieso nicht so interessiert.
Gestern am späten Abend habe ich dann gemerkt, dass mir das Ganze keine Ruhe lässt (mein Sohn hat nicht mehr darüber geredet) und habe mich gegen meinen inneren Widerstand dazu durchgerungen, dem Trainer zu schreiben. Ich habe ihm -ohne Vorwürfe- die Situation aus meiner Sicht geschildert und ihn gefragt, wie er es erlebt hat, vielleicht habe ich ja was nicht gesehen.
So, das ist alles was mir einfÃält, damit Ihr ein rundes Bild bekommt. Mache ich aus einer Mücke einen Elefanten? Übersehe ich was? Habe ich einen Fehler gemacht, indem ich dem Trainer geschrieben habe? Muss ich mit Auswirkungen auf meinen Sohn rechnen? Was kann man in so einer Situation tun? Und was, wenn er alles wieder totschweigt oder wie immer rumblökt? Ist es wirklich nur die Entscheidung meines Sohnes, ob er weiter dahin gehen möchte oder nicht? Oder habe ich als Elternteil die Verantwortung, auf ihn aufzupassen und ggf. gegen seinen Willen zu entscheiden, wenn ich denke, dass es ihm schadet (so ei bei Süßigkeiten, TV-Konsum o.ä.)? Oder soll ich da loslassen, bin ich da Helikopter-Papa?
Ich hab mir wirklich gewünscht, dass mein Sohn einen traditionellen Kampfsport macht (er selbst genießt auch diese Art von Training) und bei uns in der Kleinstadt gibt es da halt nicht so viel. Wenn er da jetzt aufhört, haben wir nicht mehr viele Optionen, außer ich gurke ihn immer ans andere Ende der Welt. Aber ihm schaden soll das Ganze natürlich auch nicht.
Liebe Grüße in die Runde,
Alex