Hallo,
bei dem Sender Arte hätte ich mir etwas bessere Hintergrundinformationen zu den schönen Bildern erhofft. So bleibt nach dem Sehen bei mir ein schaler Nachgeschmack. Nur mal drei nicht ganz unwesentliche Punkte dazu:
(1) Shō Hashi ist nach jüngeren Erkenntnissen als Reichseiniger zumindest mal umstritten.
(2) Es gab nach dem Satsuma-Einfall keine Waffenwegnahme, die die Entwicklung von Karate ausgelöst oder begünstigt hätte.
(3) Während richtigerweise von Karate als Aktivität des Adels in der Zeit des Königreichs gesprochen wird, wird die Vorführung einer Kata am Strand eingeblendet, die gerade nicht aus der Zeit des Königreichs stammt, sondern erst im Zwanzigsten Jahrhundert in der Präfektur Okinawa auftauchte.
Grüße,
Henning Wittwer
Danke für die tiefer fassenden Klarstellungen.
Aber das ist eben so, wenn es um die Herstellung leicht verdaulicher, massentauglich glatter Oberflächen geht. Ich habe da meine Erfahrungen. Zitat: "Das versendet sich".
Und darum empfehle ich, die Dokumentation unter dem Motto anzusehen: wenns weiter nichts ist. Oder: da staunt der Laie, und der Fachmann ärgert sich.
Wer blutet, wischt die Matte sauber.
Ich musste beim Titel "Kampfkunst gegen Kolonialmacht" schon etwas schlucken.
Danke Henning! Geht man bei der Erzählung, Kobudo sei von den Bauern ausgeübt worden, nicht auch davon aus, dass es sich um eine nachträglich zu Werbezwecken erfundene Legende handelt? Und dass es eher der Adel war, der irgendwann angefangen hat, mit diesen Gerätschaften zu experimentieren und die waffenlose Motorik auf selbige zu übertragen? Das halte ich zumindest für deutlich wahrscheinlicher, als dass die Bauern Zeit dafür gehabt haben, ein solch komplexes Lehrgebäude mit all seinen Hojo Undo, Kata, Kumibo, etc. zu entwickeln, dass dann auch noch perfekt an die Karate-Motorik angepasst wurde. Ich meine, Andreas Quast hat dazu auch mal was derartiges geschrieben!?
„Grau teurer Freund, ist alle Theorie. Und grün des Lebens goldner Baum.“
Bauern / Adlige muss auch kein Gegensatz sein. Es waren natürlich unterschiedliche Stände im 4 Stände-System (Adel, Bauern, Handwerker, Händler) der Tokugawa Zeit aber es gab ärmeren landbesitzenden Adel, der selber seine Felder bewirtschaftet und de facto eher bäuerlich gelebt hat. Im Buch "Legacies of the Sword: The Kashima-Shinryu and Samurai Martial Culture" (im Übrigen sehr empfehlenswert) war meine ich diesbzgl. etwas über die Familie der Stilbegründer berichtet. Die Kunii waren ländlicher Adel, die selbst mit der Hacke auf dem Acker gestanden haben.
Geändert von FireFlea (09-07-2025 um 19:04 Uhr)
Das war in Japan.
In Okinwa gab es ein anderes System, mit verschiedenen Adelsständen. Bauern waren da ganz unten, soweit ich weiß.
Hallo,
„Kobudō“ ist im Zusammenhang mit Kampfkunst aus Okinawa ein relativ moderner Begriff, der nachweisbar (spätestens) 1933 verwendet wurde (siehe Hoplo, S. 71). Davor gab es schon viele andere Bezeichnungen für Kampfkunst in/aus Okinawa.
Auch die inhaltliche, auf bestimmte Waffen beschränkte Verwendung von „Kobudō“ ist demnach ein modernes Konstrukt.
Aus den beiden Gründen ist es verzwickt, allgemeingültige Aussagen über diesen Begriff zu treffen. Letztlich müsste jede einzelne Waffe und jede einzelne Übertragungslinie bezüglich ihrer geschichtlichen Herkunft überprüft werden. Für das Shōtōkan-Ryū tat ich genau das ja schon ausführlich zum Kampfstock (Bō/Kon) (Band I, S. 148 ff.; Band II, S. 110 ff. & S. 195 ff.; Band III, S. 193 ff.) und zu den Sai (Band III, S. 129 ff.).
Für diese Linie(n) würde ich Bauern mit einiger Sicherheit als Ursprünge der beiden Waffen ausschließen. Dazu kommt, dass z. B. G. Funakoshis (1868–1957) Vater den Umgang mit dem Bō übte und der unteren Gesellschaftsschicht mit Rang und Namen angehörte (also kein Bauer war):
https://www.gibukai.de/2017/02/09/da...aus-funakoshi/
A. Asato (1828–1906) übte, seinem Schüler G. Funakoshi zufolge, sowohl mit Waffen, die eher dem Kriegeradel zugeschrieben werden (z. B. Säbel), als auch mit vermeintlich „bäuerlichen“ (z. B. Nunchaku) (Band I, S. 52 & 59). Er gehörte zur oberen Adelsschicht.
Insbesondere Mitte/Ende des neunzehnten Jahrhunderts verarmten viele Adlige bzw. ehemalige Adlige Ryūkyūs und lebten dann gezwungenermaßen auf dem Land, wo sie z. T. ihre Kampfkunst weiterpflegten und regional lehrten.
Im Arte-Film wird eine Feldhacke als Waffe gezeigt. Da es sich dabei um Matayoshi-Ryū handelt, würde ich darauf tippen, dass diese Techniken mit der Hacke (wenigstens teilweise) im zwanzigsten Jahrhundert aus China mitgebracht wurden, also eher nichts mit Ryūkyū-Adel zu tun hatten. Auf dem Festland gibt/gab es viel Volkskampfkunst, als deren Teil u. a. die Hacke als Waffe Verwendung fand. Je nach Herkunft könnte es sich z. B. um Techniken einer ländlichen chinesischen Bürgerwehr o. Ä. handeln.
Es ist noch verwickelter: Techniken mit der Hacke können ebenfalls von Satsuma nach Ryūkyū gelangt sein, da sie (zusammen mit anderen ländlichen Gerätschaften) ab dem siebzehnten Jahrhundert in Satsuma explizit zur kämpferischen Vorbereitung jener Personen, die nicht zur Klasse des Kriegeradels gehörten, in der Form von „Tänzen“ gelehrt und verbreitet wurden (Band I, S. 99 & 107 ff.).
Also kurzum, solche knappen Aussagen, wie im Art-Film, sind wirklich uninformiert und ungünstig (vorsichtig formuliert), wenn es um Bildung gehen sollte, also nicht bloße „Unterhaltung“ …
Grüße,
Henning Wittwer
Hallo,
danke für die Anregung! Ehrlich geschrieben habe ich nicht daran gedacht, mich bei Arte zu melden. Vor ein paar Jahren wurde ich von Radio Bayern2 für eine Geschichtssendung über Karate als Informant kontaktiert, die Sendung wurde auch mit einigermaßen soliden Aussagen zur Geschichte ausgestrahlt, aber eine echte Wirkung hatte sie nicht. Andernfalls hätte die Arte-Redaktion z. B. das Waffenverbot gar nicht erst angesprochen. Andernfalls hätte ich seitdem nicht weiterhin (auch hier im Forum) ähnliche Halbwahrheiten und Falschaussagen lesen dürfen.
Letztlich ist alles, was ich hier antwortete, bereits veröffentlicht, nachlesbar und durch die angegebenen japanischen Quellen auch nachprüfbar.
Aber ich lasse mir das mal durch den Kopf gehen ...
Grüße,
Henning Wittwer
Man kann ja wohl kaum erwarten, dass eine kleine, Radiosendung alles herumreißt, was an Halbwahrheiten in der Welt herumgeistert.
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