Zitat:
Titel: Re: Joe Hyams
Beitrag von: Gibukai am August 03, 2008, 02:32:41
Hallo,
Die Sache mit dem Zen wurde hier im Forum ja schon einmal kurz angesprochen. Grundsätzlich haben Zen und Kampfkunst zwei völlig entgegengesetzte Zielstellungen – das erste strebt dem „Verlöschen“ entgegen, das zweite strebt (sanft ausgedrückt) danach, im Kampf nicht zu verlieren, weiterzuleben. Diese Feststellung traf nicht Henning Wittwer, sie findet sich in alten japanischen Texten zur Kampfkunst, wie z.B. dem „Tengu Gei-Jutsu Ron“ (Abhandlung über die Kunst der Bergdämonen) aus dem Jahre 1728. B. Izawa (1668-1730) veröffentlichte 1715 eine Schrift, in der es heißt: „Niemals gab es den Fall einer Person, die durch das Studium des Zen Fertigkeiten in der Kunst des Säbels erlangte. Selbst Schüler des Zen müssen einen Säbellehrer haben.“ Jeden, der das Gegenteil behauptet, nennt er ferner einen großen Lügner. Besonders im Karate schrieb A. Itosu (1830-1914): „Karate kommt nicht vom Konfuzianismus, Buddhismus oder Taoismus.“ (Zen ist eine buddhistische Strömung.)
Daraus wird deutlich, daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte, hat und haben kann. Aber allein die Tatsache, daß solche Vergleiche und Aussagen niedergeschrieben wurden, belegt, daß es schon früher eine Zen-Kampfkunst-Diskussion gab. Unter anderem lag das daran, daß buddhistische Begrifflichkeiten verwendet wurden, um bestimmte Vorgänge oder Prinzipien aus der Kampfkunst zu beschreiben. Da die japanischen Krieger vor allem mit ihrer Kriegskunst beschäftigt waren und häufig nicht allzu gebildet waren, konsultierten sie Bonzen, die damals als Schriftgelehrte geachtet wurden. Ein Beispiel dafür ist die Umbenennung des Jigen-Ryū um 1604 herum. Allerdings handelte es sich meist um Mönche aus dem sogenannten esoterischen Buddhismus, der damals vorherrschend war. Ein modernes Beispiel für so ein Rat suchen findet sich in der Geschichte des Karate, als nämlich kein anderer als G. Funakoshi (1868-1957) den Abt eines Zen-Klosters nach seiner Meinung zu „Kara“ aus „Karate“ befragte.
Wenn Karate (oder welche Kampfkunst auch immer) also zum Beispiel im bayerischen Raum entwickelt worden wäre, dann würde es von Wendungen aus der katholischen Doktrin gespickt sein. Ungeachtet dessen wäre sein Inhalt noch immer Kampfkunst!
Nun ist klar, daß Zen nicht erst seit dem Ende der Zweiten Weltkriegs mit der Kampfkunst in Verbindung gebracht wurde. G. Funakoshi gebraucht beispielsweise 1935 die Formel „Zenken Itchi“ (Zen und Faust sind eines). Sie ist wiederum eine Ableitung aus der japanischen Kampfkunst: „Zenken Itchi“ (Zen und Säbel sind eines). Aber er schreibt nirgends, daß seine Schüler Zen aktiv praktizieren sollen. Religion oder Philosophie sind Privatsache... Nach ihm sahen dies natürlich einige Leute anders. So empfiehlt S. Nagamine (1907-1997) ausdrücklich, Zen zu praktizieren.
Wie es in Japan zu dieser Verbindung kam, versuchte ich gerade anzureißen. Speziell im Karate kommt aber noch ein anderer Einfluß zum Tragen, der der chinesischen Geheimgesellschaften (religiös-politische Zusammenschlüsse, in deren Dunstkreis manchmal der Kampfkunst nachgegangen wurde). In G. Funakoshis ersten drei Büchern taucht ein Lied mit dem Titel „Befreiungsmethoden“ (Chiai-T'uo Fa) auf. Es ist ein buddhistischer Begriff, aber im Text geht es nicht um die buddhistische Lehre, sondern ausschließlich um Möglichkeiten, sich gegen verschiedenartige Angriffe zu wehren. Wie kam es dann zu dieser Überschrift? G. Funakoshi entnahm den Text samt Überschrift seinem „Bubishi“, einem nach Ryūkyū gelangten Boxbuch, das eindeutig dem Nebel der chinesischen Geheimgesellschaften entstammt. Sein Autor fand den Begriff „ Chiai-T'uo“ wahrscheinlich passend, um seinem Lied einen „tiefgründigen“ und „geheimnisvollen“ Charakter zu verleihen. Er brauchte nicht nach dem Begriff zu suchen, die religiösen Führer gebrauchten ihn sicherlich andauernd. Im Grunde dieselbe Situation wie in Japan: buddhistische Begriffe ja, buddhistische Inhalte nein!
Nachdem das gesagt wurde, muß ich natürlich auch noch erwähnen, daß es in Einzelfällen Kampfkünstler gab, die aktiv ihre religiös-philosophischen Anschauungen und Praktiken auf die von ihnen ausgeübte Kampfkunst übertrugen. Allen bekannt ist bestimmt T. Yamaoka (1836-1888), der mittels Zen und Kampfkunst „Vollendung“ erlangte. Für ihn persönlich war diese Mischung bestimmt toll, aber sie darf unter keinen Umständen verallgemeinert werden. Und einen unbedeutenden Punkt scheinen „Zen-Kampfkünstler“ gerne mal zu vergessen, wenn sie über T. Yamaoka schwafeln: täglich soll dieser - vor dem eigentlichen Training bei seinem Lehrmeister - 10000 Tsuki mit seinem Säbel ausgeführt haben. Das hat nichts mit Zen zu tun, aber viel mit dem Erlangen kampfkünstlerischer „Vollendung“...
Eine deutsche Ärztin wies mich überdies darauf hin, daß das Sitzen im „Lotussitz“ aus orthopädischer Sicht für die menschlichen Hüftgelenke nachhaltig schädlich ist – insbesondere dann, wenn der Praktizierende auch noch „sportlicher“ Betätigung nachgehen möchte. Dabei handelt es sich um einen ganz pragmatischen Punkt.
Inhaltlich haben Zen und Kampfkunst nichts gemein; Zen-Terminologie kann eventuell zum Erklären bestimmter Punkte verwendet werden, muß es aber keineswegs. Wer Zen praktizieren möchte kann dies selbstverständlich tun, ob er dadurch sein Karate verbessert, ist mehr als fraglich.
Das oben empfohle Buch habe ich irgendwann einmal gelesen, kann mich aber nicht mehr an jedes Detail erinnern. Schon auf Grund des Zen-Bezugs hielt und halte ich es für schlecht. J. Hyams (geb. 1923) war ein Drehbuchautor in Hollywood, freite die deutsche Schauspielerin E. Sommer und trainierte scheinbar alles, bloß kein Karate. Meine Lieblingsgeschichte von ihm ist die, wo er andeutet, daß er doch tatsächlich durch „Zen-Atmung“ dem Tod durch eine Viruserkrankung von der Schippe gesprungen ist. Daß er gleichzeitig in ambulanter Behandlung war, scheint eine Nebensächlichkeit zu sein. Seine „Zen-Atmung“ hat er dann auch noch in einem Aikidō-Klub gelernt; M. Ueshiba (1883-1969) war zwar Anhänger des Shintō und der Ōmoto-Lehre, aber wen schert das schon? Ich weiß nicht, ob er sie in dem Buch erzählt oder ob ich sie an anderer Stelle gelesen habe, aber sie zeigt vielleicht, wo man den Mann einzuordnen hat. Der Titel lautet zwar „Zen...“, er zitiert aber auch taoistische Literatur usw. (ist doch eh' alles das gleiche...). Wer gerne ein paar kleine Erinnerungen liest, findet das Buch bestimmt kurzweilig. Das Verständnis für die Kampfkunst vertieft es aber sicher nicht.
Auch so, er ist auch der Autor von „Playboy's Book of Practical Self-defence“...
Grüße,
Henning Wittwer
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