Ich möchte hier einmal meine Gedanken und Erfahrungen zu Hikite vermitteln. Im Gegensatz zu anderen Auffassungen will ich Hikite nicht verteidigen sondern versuchen den Sinn von Hikite zu ergründen. Mir ist klar, dass es hierzu unterschiedliche Auffassungen gibt. Es ist gut und wichtig, dass man bestimmte Dinge hinterfragt oder auch kritisiert. Ich kann hier aber das ganze nur aus der Sicht eines DKV – Shotokan - Karatekas schreiben. Andere Stile haben teilweise andere Prinzipien.
Was ist Hikite?
Im DKV bzw. Shotokan -Jargon bedeutet Hikite nichts anderes als das zurückziehen der Hand/Faust an die Hüfte. Dies ist die hier aktuelle Bedeutung. Im Japanischen steht hi-ki-te grob übersetzt für „die Hand zurückziehen“. Dies ist jedoch nur eine der Bedeutungen. Wie Yabu schon geschrieben hat, ist diese Technik von Funakoshi als greifen des Gegnerarmes und dessen heranziehen beschrieben. Dies ist auch wohl die sinnvollste Anwendung. Etwas anderes hat er meines Wissens nach nicht geschrieben, wir können Ihn allerdings auch nicht mehr danach fragen

. Bei Nakayama zum Beispiel sieht es anders aus. Dieser sah Hikite durchaus als Teil der Hüftrotation welche im Karate und speziell im Shotokan eine enorm wichtige Rolle spielt.
Shotokan - Karate kommt mit seinen meist harten Techniken überwiegend aus der Hüfte und ist wichtig für die Kraftentfaltung und Zielgerichtetheit der Techniken. Dies unterstützt bzw. schult Hikite. Es ist also in der einfachen Form schlicht eine Grundschultechnik. Oder wie mein Sensei immer sagt es sei eigentlich ganz einfach: nämlich ein Bogensehnenprinzip – Anspannung, Abschuss und Entspannung – dadurch Steigerung der Schnelligkeit und der Kraftentfaltung im Ziel. Dies ist eine einfache Physikalische Sache und kann jeder, der auf kurze Distanz schon mal ein Makiwara bearbeitet hat ziemlich einfach nachvollziehen und bringt auch wesentlich mehr als 2 % mehr Kraft. Dies ist aber nur
EIN Aspekt.
Für mich ist Hikite eine der wichtigsten Grundlagentechniken im Shotokan und unverzichtbar in der Grundschule. Schauen wir doch mal, wo wir die Hand überall zurücknehmen: Age Uke, Gedan Barai, Gyaku Zsuku, Kage Tsuki, Mawashi Tsuki, Uraken Tsuki, Uraken Uchi, Shuto Uke und ne ganze Menge habe ich noch vergessen.
Warum tun wir dies? Hikite in der Anwendung von Funakoshi ist zwar keine Grundschultechnik, bei diesen Techniken jedoch durchaus angebracht um eben die Grundzüge der Techniken zu erlernen. Und die Faust an der Hüfte ist so wie sie geübt wird (wie oben schon geschrieben) für mich eine REINE Grundschultechnik (Kihon). Die Schnelligkeit (Schnellkraft) wird gesteigert und der wichtigste Punkt überhaupt: die Koordination der Arme und Fäuste in Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Techniken geschult. Die Körperstabilisierung hat meiner Meinung nach dabei nur eine untergeordnete Rolle, aber der Körperschwerpunkt ist im Shotokan von imminent großer Bedeutung. Hikite ist eben
nie eine alleinstehende Technik sondern
IMMER in Kombination zu sehen. Es gab eine vorausgehende Technik (z.B. Block) und es gibt eine Nachfolgetechnik (z.B. greifen und heranziehen mit folgendem Schlag). Es ist eben wie in der Schule schreiben + lesen lernen und nichts anderes. Meinetwegen auch wie gehen lernen. Man fängt ja auch nicht damit an gleich ganze Wörter und Sätze zu schreiben sondern lernt erst das ABC. Ebenso ist es im Karate - nämlich erst einmal die Grundlagen zu erlernen um sich dann entsprechend weiterzuentwickeln. Und die Faust an der Hüfte ist nun mal eine elementare Grundlage unseres Karates. Und das unterscheidet uns eben von z. B. Kickboxen. Der Übergang zum Freikampf und dessen Elementen ist anschließend fließend und wird durch das einstudierte Hikite meiner Meinung nach nicht konterkariert. Es wird ja später auch nicht mehr Grundschulmäßig gekämpft, jedoch ist diese trotzdem unverzichtbar. Und ich habe noch nie jemanden beim Freikampf gesehen, der grundschulmäßig vorher an die Hüfte zurückzieht.
Ja.. Kampf ist ein Teil des Karate, Karate ist auch SV. Ich glaube es herrschen nur ein wenig falsche Vorstellungen davon. Shotokan z.B. ist eben nicht vergleichbar mit VK – Stilen wie Muay Thai, Kickboxen oder meinetwegen auch dem Kyokushinkai – Karate - wobei Kyokushinkai und Shotokan im Grunde genommen so unterschiedlich gar nicht sind (nur die Übungs + Wettkampfformen sind anders). Die Kampfprinzipien sind im Karate einfach andere. Im Karate ging es ursächlich eben nicht um den sportlichen Wettkampf (auch nicht um Vollkontakt) sondern um wirksame Treffer an empfindlichen Stellen (Atemi) anzubringen um den Gegner mit möglichst wenigen Techniken auszuschalten, zu verletzen oder gar zu töten. Jede Technik war (bzw. ist) zielgerichtet auf einen speziellen Punkt.
Das dies mittlerweile (auch aus sportlichen Gründen) z. Teil nicht mehr so gelehrt wird finde ich persönlich schade ist jedoch Sache jedes einzelnen Trainers dies richtig zu vermitteln. Es ist nun mal nicht mehr gewünscht, jemanden im Kampf schwer zu verletzten oder gar zu töten. Die Zeiten haben sich nun mal geändert. Im Kampf hat die Faust an der Hüfte i.d.R nichts zu suchen, außer bei Anwendungen in SV wie z.B. den von Funakoshi beschriebenen Arm halten bzw. klammern und heranziehen und einigen anderen Techniken. Im Semikontakt (DKV) ist ein abgewandelter Hikite (Block und/oder direkter Konter mit Gyaku Tsuki) sehr wohl sinnvoll und auch häufig erfolgreich weil ein guter Punktelieferant. Im Vollkontakt aus bekannten Gründen eher weniger weil sehr riskant. Jetzt werden wieder einige Fragen, wenn man es im Kampf nicht oder nur selten anwendet warum übt man es dann? Genau dies und die Begründung dazu habe ich oben beschrieben. Und wer diese Frage stellt hat meinen Text nicht richtig gelesen. Ich kann nun mal in einem sportlichen Wettkampf meinem Gegner nicht in die Hoden treten. (kann schon, kommt aber nicht gut ;-))
Das dass speziell im DKV vertretene Karate (egal welche Stilrichtung) sich sehr versportlicht hat kann man bedauern oder begrüßen. Aber es passt in unsere Zeit. Es geht eben nicht mehr um leben oder sterben. Zudem entwickelt sich Karate immer weiter und das ist gut so - es sollte jedoch Karate bleiben. Sonst könnten wir ja auch dicke Handschuhe anziehen und es Kickboxen nennen ;-) Das bestimmte Techniken (s.o.) vielleicht nicht mehr mit der richtigen Intention geübt werden ist eine andere Sache und sehr Verbands bzw. Dojoabhängig. Für mich gehört Hikite bei den genannten Punkten eindeutig zu den wichtigen Grundlagen des Karate. Es jedoch bis zum erbrechen in Bahnenläufen ohne den Hintergrund zu erklären zu üben halte ich auch nicht gerade für den richtigen Weg und ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders. Dies kann man durchaus kritisieren. Aber Grundschule kann auch vielen höher Graduierten Dan-Trägern manchmal nicht schaden.