Hallo Jens,
eine bewusste Spannung ist nicht nötig, weil alle an der Bewegung beteiligten Muskeln, wenn die Technik auf Widerstand stösst automatisch angepannt werden. Das ist ein ganz normaler Regelmechanismus des Körpers.
Diese automatische Spannung sichert das tiefe Eindringen in das Ziel, da diese Spannung vom Körper ja zur Überwindung des Widerstandes erzeugt wird. Diese vom Körper selbst erzeugt Spannung schützt und stabilisiert gleichzeitig auch die Gelenke.
Das Wichtigste ist aber, dass diese Art der Spannung den Vorwärtsimpuls der Technik nicht beendet, sondern bei gleichzeitiger Stabilisierung der Gelenke eher noch verstärkt.
Deine Art der aktiven Spannung BEENDET die Bewegung, was bedeutet, dass die Wirkung oberflächlicher ist. Du schreibst ja selbst, dass die bewusste Spannung, die Du als (Dein) Kime bezeichnest, auch die Gelenke vor Rückstoss schützen soll. Das bedeuten aber gleichzeitig, dass Dein Fokus zwangläufig AUF der Oberfläche des Zieles liegen MUSS. Deine Aussage würde keinen Sinn machen, wenn Du die Technik in das Ziel eindringen lassen würdest und dann erst spannst, zumindest nicht wenn es um die Stabilisierung der Gelenke geht.
Im Vergleich zur Technik mit willentlicher Anspannung des ganzem Körpers im Treffmoment, was wie oben beschrieben die Technik abschliesst, dringt die Technik mit "natürlicher" Spannung tiefer ein.
Man braucht keine Physik zu bemühen, ein einfacher Versuch, den ich immer wieder gerne demonstriere reicht.
Lasse einfach mal einen stabil stehendem Trainingparter eine Pratze oder eine vergleichbares Polster auf die Brust legen und schlage mit Deinem stärksten Gyaku Zuki mit Deiner Kime Version auf dieses Polster. Wenn der Empfänger empfindlich ist, tuts vieleicht ein bischen weh, wenn er richtig atmet wird er in der Regel nur etwas bewegt.
Machst Du das Gleiche mit gleicher Beschleunigung ohne AKTIVE Ganzkörperspannung, wird er deutlich mehr Wirkung spüren, in dem meisten Fällen sogar vor Schmerzen zusammenbrechen.
Das funktioniert sogar noch, wenn man etwas Weiches wie ein bis zwei Kissen als Schutz nimmt. In diesem Fall "verhungert" der Schlag mit aktiver Spannung in der Regel im Polster, während die andere Version noch so deutlich zu spüren ist, dass ein zweiter Versuch in der Regel abgelehnt wird.
Der Grund für die unterschiedliche Wirkung liegt in der oben beschriebenen Tatsache, dass die Muskeln durch den Widerstand zwar automatisch gespannt werden, der Vorwärtsimpuls aber in keinster Weise gestoppt wird, da die Spannung dazu dient, den Widerstand des Zieles zu überwinden, während Deine Art der Spannung, man kann es nicht oft genung sagen, die Bewegung beendet. Das Ziel wird bei der natürlichen Variante mehr bewegt (wenn man nicht schnell genug schlägt) und der Schlag dringt tiefer ein.
Das die Hand und das Handgelenk eine gewisse Vorspannung benötigen ist klar. Mit enspannter Technik ist auch nicht gemeint, dass die Technik schlaff sein soll. Es geht darum, dass nur die Muskeln, die zur Erhaltung der Positur und der Bewegung benötigt werden genutzt werden. Dazu genügt es, die Position einzunehmen und die Bewegung schnell auszuführen. Den Rest macht der Körper ganz von selbst.
Diese von jedem Interessierten reproduzierbaren Versuche sind für mich das Maß mit dem ich die Wirkung einer Technik bewerte oder ein Prinzip überprüfe.
Dieser Satz von Dir ist auch interessant: "Damit sich die auf ihn mit voller Wucht zurückwirkende Energie nicht in ihm entlädt (und sei es "nur" als Bewegungsenergie), fixiert er seinen Körper zwischen seinem Ziel und dem Erdboden, wozu natürlich wieder Spannung vonnöten ist (in diesem Fall sogar ein sehr hohes Maß)."
In den chinesischen "inneren" Kampfkünsten wie Tai Chi Chuan zum Beispiel macht man genau das Gegenteil. Es gibt eine Methode, bei der man frontal auftreffende Energie über entspannte Gelenke an den Boden weiterleitet. Wobei sich alle Gelenke, entlang des "Pfades" von der dem Punkt, wo die Energie des Angreifer auftrifft bis zu den Füssen leicht beugen, was gleichzeitig eine PASSIVE Spannung _in Richtung_ des Angreifers erzeugt. Die Energie kann durch eine schnelle entspannte Streckung der Gelenke wieder an den Angreifer übertragen werden. Das kann ein Push sein, oder ein Schlag. Gute Leute können diese Art von Schlägen mit einer am Angreifer aufgelegten Hand ausführen. Die Bewegung spielt sich in dem Fall innerhalb des Körpers ab, eben durch die Streckung der Gelenke und einer Impulssteuerung des Unterbauches. Es ist eine sehr schnelle Beschleunigung vorhanden, die aber aüsserlich kaum sichbar ist, da sich keine Gliedmassen über eine längere Strecke bewegen, wie es zum Beispiel bei einem Karate Fauststoss der Fall ist.
Jede lokale Spannung, zum Beispiel in den Schultern wird im Tai Chi als grober Fehler angesehen, weil der Energieimpuls der sich streckenden Gelenke entlang des Pfades vom Boden zum Ziel dort unterbrochen würde. So unterschiedlich können Prinzipien sein.
Hier haben wir dann den Fall, dass eine Faust eben nicht über eine längere Wegstrecke beschleuningt wird um Energie zu gewinnen und trotzdem eine enorme Power da ist.
Zugegebenermaßen gibt es nicht viele die das im Tai Chi Chuan wirklich umsetzen können. Das liegt aber nicht am Tai Chi Chuan, sondern daran, dass es heute kaum noch als Kampfkunst unterrichtet wird oder die Prinzipen nicht verstanden werden. In dem Fall handelt es sich um eine Reihenfolger leerer Bewegungen, die ausser Äusserlichkeiten nichts mit Tai Chi Chuan als Kampfkunst zu tun haben. Ich persönlich lasse mich lieber von einem deftigen Zuki am Körper treffen, als von einem Meister der "weichen" Kampfkünste mit einer eher unscheinbaren Technik. Die Leute, die Mal das Vergnügen hatten, auf der Empfängerseite zu stehen wissen was ich meine.
Der kleine Ausflug in die "weichen" Kampfkünste sollte nur klar machen, dass es noch andere Methoden der Powergenerierung gibt, als die, welche Du kennst. Ist aber auch alles nur Physik.
So, jetzt ziehe ich mich aus dieser Diskussion zurück, dass ist mir alles zu anstrengend und so wichtig ist mir das Ganze auch wieder nicht. ;-)
Grüße,
Karl-Heinz