Zitat Zitat von Simplicius Beitrag anzeigen
da steht aber nix von Eiterstadium oder Last.
Ein hervorragend funktionierender Körperteil soll amputiert werden, weil eine natürliche Regung des Körpers als Sünde deklariert wird.
Natürlich war das wohl nicht wörtlich gemeint, sondern ist nur eine drastische, provozierende Sprache.
Ähnliches kann man auch Crowley unterstellen.
Gut, das steht nicht da, aber ich denke, es wird impliziert. Nicht das hervorragend funktionierende Körperteil, sondern das kranke soll entfernt werden. Ich hatte schon mal in einem meiner vorigen Posts erwähnt, dass das Provozieren ein Messer mit zwei Schneiden ist: Einige benutzen es, um wachzurütteln, andere um sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Für mich tendiert Mister Aleister doch eher zum Letzteren.

Mir widersprechen?
Ich habe Jesus zitiert. Also musst Du ihm widersprechen.
Mir ist aber nicht bekannt, dass er gegen eines der zehn Gebote verstoßen hätte, mit Ausnahme des Sabbatgebots.
Dies allerdings in Folge einer Güterabwägung, nicht um das Gebot an sich als schlecht zu erklären oder aufzuheben.
Ich widerspreche Deiner Auslegung.
Ausserdem kann man Jesus (eigentlich korrekt "Jeschua") nicht zitieren. Er hat in seinem ganzen Leben kein einziges Wort niedergeschrieben.
Die Zehn Gebote sind ja schön und gut, aber der Punkt bei JC, der gegen alle Striche lief, ist das öffentlichmachen von damals geheimen Inhalten.
Das hat in der jüdischen Gelehrtenwelt einen Trubel ohnegleichen verursacht. Ist ca.so, wie wenn jemand den Vorhang im Tempel beiseite geschoben hätte und einfach hineingegangen wäre. Solche Dinge wurden hart bestraft.

Das sind gesellschaftliche Dünkel und hat nix mit dem Gesetz der Propheten zu tun
Damals waren "Propheten" und Gelehrte wesentlich stärker präsent in der Gesellschaft als heute bei uns. Es hat also ungeheuer viel über eine Person ausgesagt, in welche gesellschaftlichen Kreise er sich begab.
Ein Rabbi, der auch zu Nutten spricht - ziemlich modern, finde ich! Zumindest zeitgemässer als manch jüdischer Schriftgelehrte selbst heute noch.

was hat denn die Nächstenliebe in seiner Jüngerschaft mit einer alten Rechtsvorschrift (nicht etwas Aufforderung zur Rache/Selbsjustiz) zu tun?
Auf die bezieht er sich ebenfalls in der Bergpredigt: ***
Damals war Judäa durch die Römer besetzt. Und es war einem Römer ausdrücklich erlaubt, einen Juden sein Gepäck eine Meile tragen zu lassen.
Der Schlag mit dem Handrücken war eine schlimme Demütigung, die man aber eben schwerlich gegen einen Römer nach dem jüdischen Vergeltungsrecht einklagen konnte.
Daher fordert Jesus hier zum geschickten gewaltfreien Ungehorsam auf, weil normale Rechtsmittel nicht greifen.
Schritte gegen Tritte - Der dritte Weg Jesu
Das alles lediglich auf zivilen Ungehorsam zu reduzieren erscheint mir jetzt sehr einfältig, sorry. Da steckt deutlich mehr dahinter.
Das einzige, was einen damals von Mord, Vergewaltigung und Totschlag schützte, waren die Gesetze. Das klingt jetzt banal, aber wenn einer den Impuls in eine sonst unerbittliche Gesellschaft bringt, zu lieben, und zwar ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was einem als Gegenleistung entgegenkommt, dann ist das ein kleiner Umsturz mit einer umso grösseren expolsiven Wirkung. Eine menschliche Gesinnung, die bis dahin in diesem Kulturkreis nicht bekannt war.
Und jetzt werden gewiss einige kommen und sagen, ja halt, bei so viel Blut, wie die Christen vergossen haben, ist das ja ein Witz. Das stimmt wohl völlig. Die christliche Kirche hat sondergleichen gewütet. Aber das ist das instrumentalisierte, politische Christentum, das ich schlicht und einfach für eine Perversion der eigentlichen Inhalte halte. Ist vielleicht nicht so einfach, das zu begreifen, aber so ist's mit vielen Dingen, mit Geld, Macht und Politik kann man einfach ALLES in seiner Hülle vergewaltigen und verrotzen. Zumindest für Menschen, die für gewöhnlich nur die Fassaden angucken.

Ich sagte schon: zu dem strafenden Gott von außen kommt die eigene Selbstkasteiung bzw. Selbstverurteilung.
Das Christentum ist nach meiner Erfahrung eine Schuldreligion. Der Mensch ist sündig geboren und durch seine Sündhaftigkeit gar schuld am Tod seines eigenen Gottes...
"mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa..."

Auch kann sich ein Christ kann nicht durch eigene Handlung erlösen, sondern nur durch die Gnade Gottes. Der Versuch der Selbsterlösung durch entsprechende Praktiken ist schon eine Sünde.
Und genau diese Sünde begeht ja Crowley, wenn er sich mittels Ritualen verändern will, anstatt sich dem Willen Gottes zu überlassen.
Ist Dir bewusst, dass Du gerade den ganzen Jesuitenmist für allgemeines Christentum hälst und somit ziemlich krass verallgemeinerst?
Das ist ein kleiner, und in meinen Augen ein schwachsinniger und widerlicher Teil des externen Christentums. Du musst dich jeden Tag schuldig fühlen, musst leiden, musst die kasteien. Das Fleisch sündigt, blabla.
Damit haben sie der europäischen Zivilisation eine grosse Sch*** eingebrockt, nämlich dass wir kein ganz natürliches Verhältnis zu unserer eigenen Körperlichkeit hatten (bis vor 40, 50 Jahren...) und das quasi lernen mussten.
Es gibt im (internen) Christentum sehr wohl Praktiken zur, wie Du es nanntest "Selbsterlösung". Natürlich hat die Kirche solches Zeug drastisch bekämpft und abgelehnt. Dennoch gibt es sie.
Zur Sünde:

"Meister Eckhart

Wie man sich verhalten soll, wenn man sich in Sünden findet

Gesündigt haben ist keine Sünde, sobald’s uns leid ist. Zwar darf man Sünde nicht begehen wollen, um alles nicht in Zeit noch Ewigkeit, weder ,tödliche’ noch ,lässliche’, sondern überhaupt keine. Wer sich auf Gottes Art versteht, der wird sich immer vor Augen halten, dass der getreue, huldreiche Gott den Menschen aus einem sündigen in ein göttliches Leben gebracht, aus seinem Feind ihn zu seinem Freund gemacht hat – was mehr ist, als eine neue Erde zu schaffen. Gewiss der stärksten Antriebe einer, den Menschen ganz auf Gott zu stellen und wunder wie zu entzünden in mächtiger Gottesliebe!

Aber wer wirklich hereingenommen wäre in den Willen Gottes, der wird auch nicht wollen, die Sünde, in die er gefallen, möge überhaupt nicht geschehen sein. Nicht zwar insofern, als sie etwas Widergöttliches war, sondern sofern du damit zu desto größerer Liebe gebunden und dich durch sie gemindert und gedemütigt fühlst. Denn war deine Tat auch wider Gott gerichtet, so darfst du doch Gott schon zutrauen, dass er dir so etwas nicht verhängt hätte, er wollte denn dein Bestes daraus ziehen. Wenn dann aber der Mensch sich entschlossen aufrichtet und abkehrt von der Sünde, so tut der getreue Gott, als ob der Mensch nie in Schuld gefallen wäre, und will ihn alle seine Sünden auch nicht einen Augenblick entgelten lassen: Und wären ihrer mehr, als je die Menschheit aufgehäuft, nie wieder wird ihn Gott etwas davon entgelten lassen; er ist imstande, mit diesem Menschen alle Vertraulichkeit zu haben, die er je einem Sterblichen gestattete. Ob er ihn anders jetzt bereit findet, so sieht er nicht an, was er zuvor gewesen ist. Gott ist ein Gott der Gegenwart: Wie er dich findet, so nimmt er dich und lässt dich zu. Er fragt nicht, was du gewesen, sondern was du jetzt bist. Allen Schaden und Schande, die Gott angetan werden durch die Sünde, die will er sich gerne gefallen lassen, jahrelang, nur damit der Mensch hernach zu einer überwältigenden Erkenntnis seiner Liebe komme und Anhänglichkeit und Dankbarkeit bei ihm nur umso stärker, sein Ernst und Eifer nur umso brennender werde, wie das ja billig nach der Sünde zu geschehen pflegt.

Darum hat denn auch Gott das Sündenelend am öftesten gerade über die Menschen verhängt, die er zu großen Dingen hat ersehen wollen. Sieh es doch an: Wer war unserm Herrn lieber und heimlicher als die Apostel? Nicht einer bleibt, der nicht gefallen war, alle waren sie Todsünder gewesen. Im alten und im neuen Bunde hat er’s immer wieder bewiesen an denen, die ihm hinterher wer weiß wie nahe standen. Und auch noch hört man selten, dass die Leute es weit bringen, sie seien denn zuerst auf Abwege geraten. Worin Gott uns seine große Barmherzigkeit zu erkennen geben und uns mahnen will zu rechter Demut und Bedenklichkeit. Denn so oft die Reue sich erneuert, wird auch die Liebe mit Macht gesteigert und erneuert werden."


(Hermann Büttner, Meister Eckhart. Schriften, Eugen Diederichs Verlag, Jena 1938)

Das echte Christentum, und damit meine ich nicht irgend eine instituionalisierte, politisch-aktive oder sonstwie veräusserlichte Form, ist keine "Schuldreligion". Es gibt das Motiv der Auferstehung durch den Weg der Katharsis, das über dem Tod steht, und es gibt den Impuls zur Fähigkeit, zu lieben, das über jedem Gesetz steht. Das ist ein anderer Ansatz als Crowleys "Liebe unter Willen".

P.S.: Eckhart wurde für solche und ähnliche Bekundungen von der Kirche ziemlich viel angehängt und er wurde recht schnell der Ketzerei beschuldigt