Das ist eine gute Frage
Begriffe transportieren ja Visualisationen, daher muss das Gehirn diese Begriffe in die Sprache bringen in der es funktioniert. Es bringt mir nichts den japanischen Begriff für "verbundene Hände" zu kennen, wenn ich das dahinter liegende Prinzip nicht gefühlt, im wahrsten Sinne "begriffen", habe. Kann ich dass, dann habe ich den Begriff auch übersetzt und brauche den japanischen Begriff nicht.
Ich habe z. B. auch im Bagua so gut wie keine chinesischen Begriffe gehört. Meine Unterrichtssprache mit meinem Lehrer ist Englisch und ich übersetze mir das im Kopf ins Deutsche. Bei einigen Dingen nennt mein Lehrer auch mal den chinesischen Begriff, aber ich merke mir die dazugehörigen Erklärungen, nicht den Begriff. Ich kann weder von den Handhaltungen noch von den Wechseln im Bagua einen einzigen chinesischen Begriff, ich kenne die englischen Begriffe (die mein Lehrer nutzt) und natürlich meine Übersetzung des Englischen. Ich habe mir einzelne "Krücken" mit chinesischen Begriffen gebaut, die mein Lehrer ab und an dann doch nutzt (z.B. als Abkürzung, weil die Erklärung zu lang ist). Das Chinesische ist ja eine sehr "blumige" Sprache und da ist der chinesische Begriff ab und an einfach schneller gesagt. "Ma", "Fan", "Tan" sind solche "Krücken" für mich, da da die Übersetzung (in dem Kontext) teilweise ein ganzer Satz ist...
Es geht eben nicht darum Begriffe zu überliefern sondern das, wofür diese Begriffe stehen. Die müssen "ins Herz" gehen und dafür braucht man die mündlichen Unterweisungen.
Ich denke weder chinesisch noch japanisch. Englisch kann ich auf einem Level, auf dem ich auch Englisch denken kann (was mir z.B. nach ein/zwei Tagen in England passiert), daraus kann ich dann auch leicht eine deutsche "Übersetzung" machen.
Nimm ein Beispiel in den Koryu. In der Hokushin Itto-ryu ist der nächste Soke ja ein Deutscher. Er lehrt in Deutsch? Nein. Warum nicht? Wahrscheinlich weil es in den Koryu so ist das man deren Sprache und Kultur auf einem Level beherrschen muss das man in ihr denkt. Was ich so davon gesehen habe, gerade bei dem neuen Soke, bestätigt das ja. Er hat einen japanischen Namen, eine japanische Ehefrau, lehrt in japanisch etc.
Mein Lehrer beherrscht das Chinesische auf diesem Level, ist mit einer Chinesin verheiratet und hat entschieden das Wissen jetzt in seiner Heimatsprache weiterzugeben. Ob dieser Schritt in den Koryu möglich wäre? Ist mit Sicherheit eine spannende Frage... (wahrscheinlich eher vom "Wollen" als vom "Können")
Entweder kann man die Kuden in der "Heimatsprache" wiedergeben, dann braucht es auch die jeweiligen deutschen Begriffe, oder aber man kann die jeweilige "Fachsprache" auf einem Niveau auf dem man in ihr denkt und lebt, dann kann man auch die Kuden in der Sprache benennen.
Beides ist in meinen Augen ein gangbarer Weg, da beides "vom Ohr ins Herz" führt und das ist es auf das es ankommt.
Grüße
Kanken